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60 Akte aus 6 Jahrzehnten |
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„Erscheint es Ihnen nicht gewagt, in einer Kirche über ein immer noch heikles Thema wie ‘Nackt’ zu reden?“ Mit dieser rhetorischen Frage an die Zuhörer eröffnete Professor Sigurd Marien seine Einführungsrede zur Sonderausstellung „Friedrich Ludwig: Akte aus sechs Jahrzehnten“ in der Wiesleter Kirche. Und in der Tat: Die Kirche habe ein gespaltenes Verhältnis zur Nacktheit, meine Pfarrerin Susanne Roßkopf. Die Initiatoren des Ludwig.Museums und dieser neuerlichen Sonderschau, das KuK-Team um Hans Viadot hatte das Bild „Barmherziger Samariter“ aus der Ausstellung in die Kirche mitgebracht und auf einer Staffelei präsentiert: eine nackte Frau und ein bekleideter Mann, über sie gebeugt. „die Nacktheit zeigt uns, wie Gott uns geschaffen hat“, meinte dazu die Pfarrerin, die die Nacktheit an sich als zwiespältig, aber doch zu unserem Leben gehörend betrachtete. Bei dieser Vernissage hieß KuK für einmal nicht Kunst und Kultur, sondern Kunst und Kirche. „Gute Aktbilder sind immer eine Ausstellung wert“, bemerkte Hand Viadot in seiner Begrüßung, in der es auch auf das Wortspiel „Akt – nackt – Halb(n)akt“ einging. Seine Bildinterpretation des „Samariter“ hinterfragte: „Geht es um Erotik?“ Auch Marien griff das Thema in seiner Kunstbetrachtung auf: „In der Kirche über nackt zu reden – schon seltsam.“ Aber die Moralbegriffe hätten sich verändert. Marien ging zurück bis zur Schöpfungsgeschichte. Adam und Eva seien das erste Menschenpaar gewesen, das in der darstellenden Kunst entweder nackt oder nur spärlich mit Blättern bedeckt gezeigt werde. Als wichtigsten Beleg für Nacktheit in der kirchlichen Kunst führte Marien Jesus, den „Hauptdarsteller der kirchlichen Nacktheit“ an. Von seiner Geburt bis zur Kreuzigung sei er fast ausschließlich nackt oder nur spärlich bekleidet dargestellt worden. Marien streifte noch Michelangelo, um dann überzuleiten zur Nacktkultur im 19. Jahrhundert als Ausdruck von Freiheit, dem „Zurück zur Natur“, dem neuen Körperbewusstsein der Künstler in den 20er Jahren, mit dem er auch den Maler Friedrich Ludwig in Zusammenhang brachte. Ludwig habe diese Zeit voll miterlebt. Seine Akte seien schon immer sehr ästhetisch. Die ersten Aktbilder Ludwigs stammen aus seiner Pariser Zeit, wo er ab 1926 die Akademie Julien besuchte. Friedrich Ludwig, so Marien, gehörte zu den Expressionisten der zweiten Stunde, die auf dem Kunstmarkt noch entdeckt werden müssten. Solche Ausstellungen, aber auch Kunstauktionen in London oder die an die Vernissage anschließende zweite Verkaufsausstellung mit 60 qualitätsvollen Arbeiten Ludwigs, nicht zuletzt die inzwischen 6000 Besucher des Museums können sicher dazu beitragen, dass Friedrich Ludwig international bekannter wird. „Wir werden den Ludwig aber nicht vermarkten“, versprach der Ludwig-Kurator Sigurd Marien, „nur ihm den Platz ebnen, wo er hingehört“. Die Feierstunde in den schönen Markgräfler Kirche, bei der der neue Wiesleter Bürgermeister Eigen Simen auf Alemannisch begrüßte und seine Gemeinde als „Tor zum Kleinen Wiesental“ und Dorf vorstellte, „wo es jetzt noch Künstler hat“, wurde von Aldo Frost (Bürchau) mit schmissiger Orgelmusik im wahrsten Sinne des Wortes „umarmt“.
Markgräfler Tagblatt, 18. Juni 2002. Bericht: Jürgen Scharf (js)
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