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Der Maler Friedrich Ludwig - ein vergessener Einzelgänger

 

   

Friedrich Ludwig wurde am 25. Oktober 1895 als siebentes Kind eines Bauern im südlichen Schwarzwald geboren.
Seine Eltern gaben ihn mit acht Jahren zu entfernten Verwandten auf einen Bauernhof, wo er als Kind harte Arbeit zu leisten hatte. Auf dem Speicher des Hofes fand er alte Schriften, Bücher und Drucke, sah alte Kupferstiche, darunter Rembrandts "Drei Bäume". Er fühlte sich seltsam erregt - und übte sich im Nachzeichnen. Es wuchs die Sehnsucht nach einem Dasein als Künstler. Doch der Vater erklärte: „Landschaftsmaler kann ich dich nicht werden lassen, dafür haben wir kein Geld. Aber Anstreicher kannst du werden." So kam er in der kleinen Stadt Schopfheim im mittleren Wiesental zu einem Meister in die Lehre. Alfred Kühn, der Rektor der Gewerbeschule, wurde auf sein Talent aufmerksam und schickte Zeichnungen von ihm nach Karlsruhe zu Prof. Hofacker, der dem Schwarzwaldbuben daraufhin ein Stipendium für die Kunstgewerbeschule verschaffen wollte. Ludwig jedoch wollte kein fremdes Geld annehmen, er beendete seine Lehrzeit als Anstreicherlehrling und ging kurz vor dem Krieg, der ihn später doch nach Deutschland zurückzwang, zu einem Dekorateur nach Zürich. Nach seinen vier Frankfurter Nachkriegsjahren, die ihm das Studium an der Städel-Schule ermöglichten, reiste Ludwig nach Italien, war beeindruckt durch die Begegnung mit Piero della Francesca, erlebte in Paris zum erstenmal Cezanne und den Kubismus, studierte an der Akademie Julian, kehrte jedoch zurück nach Zürich und fuhr wieder nach Florenz. Im Berlin der ausgehenden zwanziger Jahre, wo er als Maler Fuß zu fassen versuchte, und in Paris wurde man allmählich auf Ludwig aufmerksam.

Die Nachkriegszeit in Berchtesgaden war schwer für Ludwig. Seit den Jahren der Drangsalisierung während der NS-Zeit und dem Krieg fühlte er sich in die Rolle des Sonderlings gedrängt, für den in dieser Welt kaum ein Platz sich bietet. Den Kampf ums tägliche Brot mied er lieber zugunsten der Arbeit draußen in der Landschaft und im Atelier. Es wird berichtet, dass Ludwig Justi, der von 1909 bis 1933 die Berliner Nationalgalerie geleitet hatte, für 1934 eine Ausstellung von Bildern und Skizzen Friedrich Ludwigs im Münchner Kunstverein vorbereitet hatte und dass der damalige Gauleiter und Staatsminister Adolf Wagner die Eröffnung verhinderte. Wagner habe gedroht: „Wenn das Zeug bis morgen nicht von den Wänden ist, lasse ich es abhängen und im Hof mit Benzin übergießen." Für den damals 38jährigen Künstler, der sich nach Jahren des Lernens, Reisens und freien Arbeitens in Frankfurt, Florenz, Zürich, Berlin und Paris nun am Beginn einer wenigstens bescheidenen Karriere sah, war dies das Ende der Hoffnungen auf Hilfe und Reputation. Die Angst wuchs.

Jn der Züricher Galerie Neupert, die sich auch nach dem Krieg an Ludwig erinnerte, hatte er 1935 eine Ausstellung, die zu dem Angebot an ihn führte, einen kostenlosen Aufenthalt in der Schweiz zu verbringen. Wieder kam es zur Ablehnung von etwas, was er als Geschenk oder als Kompensation nicht anzunehmen bereit war. Seit 1937 lebte Ludwig in Düsseldorf - doch auch hier gab es keine Möglichkeiten einer Ausstellung für ihn. Ein Freund mit Namen Karl Hofer - doch nicht der berühmte Berliner Maler - wollte Ludwig vor dem Krieg in die USA mitnehmen. Auch dies lehnte er ab. Er scheute den Wechsel in einen ganz anderen Lebensraum und den Verzicht auf Europa. Ludwig schien sich inzwischen mit seiner Außenseiterrolle abgefunden zu haben. Seine Bilder aus den dreißiger Jahren enthalten diesen persönlichen Ausdruck der Unabhängigkeit. Es gibt kein einziges Beispiel der versuchten Annäherung an den offiziellen Regierungsstil jener Zeit, kein einziges Zugeständnis an „die neue Richtung" des Rückgriffs auf Romantik und 19. Jahrhundert - auch wenn weit bekanntere Künstler diesem „Zug der Zeit" nicht zu widerstehen vermochten.

„Ludwig war ein geistvoller und überaus beweglicher, echter und begeisterungsfähiger Künstler," erinnert sich der Züricher Kunsthistoriker Dr. Werner Y. Müller. „Ein geborener Maler, der nur in Farbenträumen lebte und sich wie ein Kind an dem farbigen Wunder der Dinge immer und immer wieder freute." Doch wie Schmetterlingswunder seien seine Bilder „eigentlich fremd in dieser Welt und sie zählen bei rohen Menschen kaum." Immer wieder einmal habe Ludwig einen Anlauf genommen, einen Kunsthistoriker aufzusuchen, um ihn für seine Bilder interessieren zu können: „Es blieb leider zumeist beim Beschenktwerden durch ihn und bei Empfehlungen an einige Bekannte und initiative Kunsthändler und bei wundervollen Gesprächen über Kunst und Schönheit." Werner Y. Müller kommt zu dem Schluss: „Er ist in eine schlechte Zeit hineingeboren worden und war zu kindlich, sich aus dem verbrecherischen Krieg herausreißen zu können. Nachher wurde er von der Nachkriegsgeneration, die auch leben wollte, zum alten Eisen geworfen. So war er immer im Tiefsten ein heimatloser Zugvogel - nirgends sesshaft als in seinen Künstlerträumen".

Ludwig war ein im Umgang zeitweise sehr verschlossener, äußerst sensibler und eigenwilliger Künstler, den das Bewusstsein eigener Integrität und seine Auffassung von der Würde des Menschen schließlich immer mehr in die Isolation drängte. Wer ihm näher kam und die stachelige Schutzhülle seiner Abwehrhaltung zu durchdringen vermochte, erlebte ihn als einen ganz prächtigen Menschen, mit dem über Gott und die Welt, über Politik und Kunst stundenlang zu diskutieren war. Da war er überzeugt von der malerischen Qualität und Aussagekraft seiner Bilder, auch wenn er sich selbstkritisch äußerte und unzufrieden zu sein schien. Übermalungen und viele kleine Studien zeugen von der fortwährenden Arbeit am Motiv, vor allem des Landschaftlichen. Ludwig wurde - nicht etwa aus Gefälligkeit - schließlich zu einem Maler des ihn umgebenden Hochgebirges. Da er sich um Verkäufe nicht kümmerte und es sogar rundweg ablehnte, gegen gutes Geld Bilder herzugeben, wenn ihm der Interessent nicht passte, schenkte er fürs Notwendigste seiner späten Jahre zuweilen etwas her - vielleicht für ein Mittagessen und etwas zum Trinken. Er selber ließ sich gar nichts schenken.

Wahrend seiner letzten Lebensjahre genoss Ludwig den von Theodor Heuss geschaffenen „Ehrensold" als Vergünstigung in wirtschaftlich dürftigen Verhältnissen. Er hatte 1955 noch einmal geheiratet - doch das Zusammenleben währte nicht lange. Die nervliche Belastung des entbehrungsreichen Lebens hatte zu gesundheitlichen Einbußen geführt, die nun auch der Malerei hinderlich waren. Es gab Phasen, in denen er drei bis vier Wochen umgänglich war und sich halbwegs wohl fühlte - dann verkroch er sich wieder in Resignation und Unzugänglichkeit.

In seinen Bildern können ungreifbare Geistwesen aufsteigen. Verkantungen und Brechungen enthalten symbolhaft angedeutete Figuren, Schemen, Gesichter. Angeschnittene, ins Bild ragende Gestalten haben etwas Transistorisches, Unfestes. Wesentlich kompakter sind seine Einzelfiguren. Räumliche Weite und plastische Volumina bildeten für Ludwig den Anlass für eine Vielzahl von Bildern, die in der europäischen Kunst der Zeit nach Cezanne neben den deutschen Expressionisten den eigenen Weg des Einzelgängers bezeugen: eines Koloristen von hohen Graden, dessen Entdeckung nun nachzuholen ist. „Ich muss die Landschaft auf den Altar heben," pflegte er zu sagen. Indem er Französisches und Deutsches ineinander wachsen ließ, wurde Ludwig in seiner Zeit zu einem Unzeitgemäßen, dessen Bedeutung eigentlich nur von Menschen erkannt wurde, die Künstler waren und verwandten Geistes. Wer seine Bilder erwarb, lebt mit der Freude, die sie enthalten.

 

Original-Text: Weltkunst, 55. Jahrgang, Nr. 15, 1. August 1985. Autor: Reinhard Müller-Mehlis
 

 

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