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Presse - Aktuell

 

MT - Bericht vom 15. November 2017

 

 

„Das kann nicht mehr passieren“

Zum 82. Mal jährt sich das Unglück in der Tegernauer Laurentiuskirche,
bei dem über 100 Gottesdienstbesucher Gasverletzungen erlitten.


Beim „Krone“-Frühschoppen erfuhren die Teilnehmer viel über den Tag,
an dem in der Tegernauer Kirche Gas austrat.    Foto: Gudrun Gehr

Dass das Unglück noch nicht aus dem Gedächtnis der Bevölkerung verschwunden ist, zeigte am Sonntag
 der Vortrag von Hans Viardot von KuK unter dem Motto „Heimatkunde pur“.

 Am Buß- und Bettag, 20. 11. 1935, besuchten beachtliche 150 Personen aus dem Kirchenbezirk den Gottesdienst in Tegernau und nahmen hierfür oft stundenlange Fußmärsche in Kauf. Die Gresger, ebenfalls zum Einzugsbereich der Tegernauer Kirche gehörend, kamen an diesem Tag allerdings nicht zum Gottesdienst, da im dortigen Kirchlein für den Nachmittag ein Gottesdienst angesetzt war. Wies verfügte seit 1779 über eine eigene Pfarrei. Über das Unglück wurde vom Markgräfler Tagblatt an drei aufeinanderfolgenden Tagen ausführlich berichtet. Hans Viardot wurde weiterhin in einer bislang unbekannten Veröffentlichung fündig.

Ablauf des Unglücks

Der damalige Gottesdienst begann um 10 Uhr. Bereits beim Betreten der Kirche stellten die Besucher einen ungewöhnlichen Geruch nach Latrine fest. Bereits nach 15 Minuten verließ ein 14-jähriger Junge wegen Unwohlseins die Kirche. Es folgten zeitnah weitere Personen, vor allem Kinder und Frauen. Sie klagten über Schwindel und suchten teilweise Nachbarhäuser auf. Der Gottesdienst wurde zunächst fortgesetzt.

Je länger dieser andauerte, desto größer wurde die Anzahl der Personen, die die Kirche verließen, zuletzt waren es ganze Gruppen. Teilweise fielen die Besucher auch in der Kirche um. Schwankend und von anderen unterstützt, erreichten einige die umliegenden fünf Gasthäuser. Alle bei der Kirche liegenden Häuser glichen bald Krankenstuben. In den Gasthäusern versuchte man, den Leidenden mit Branntwein und Kaffee zu helfen. Zwischenzeitlich war Pfarrer Hack am Altar zusammengesunken. Rasch verließen die übrigen Besucher die Kirche.

Die Plätze der Männer waren auf der Empore der Kirche, sie wurden hier weniger betroffen.

Hilfsmaßnahmen

Der Tegernauer Arzt Hans Griesau überblickte die Ursache und das Ausmaß der Katastrophe sofort und rief weitere Hilfe herbei. Im damaligen Schulhaus, jetzt Feuerwehrhaus, wurde ein Lazarett eingerichtet. Mehrere Sanitätskolonnen und ärztliches Personal aus Schopfheim, Lörrach und Grenzach, schafften Sauerstoffapparate herbei.

Verzögert kamen weitere Notrufe aus den entlegenen Heimatgemeinden der Besucher. Manche hatten sich zu Fuß auf den Heimweg gemacht, wobei die Vergiftungserscheinungen beim Anstieg auf den Berg erst richtig zum Ausbruch kamen. Alleine bei Holl waren sieben Personen auf der Straße zusammengebrochen. Spät am Abend wurden noch Notfälle aus den weiteren Gemeinden gemeldet, so dass auch dort Sanitätspersonal benötigt wurde. In Sallneck wurde ein Sauerstoffapparat installiert.

Ursache des Unglücks

Mehrere Ursachen wurden damals vermutet. Möglicherweise war ein Rohr der beiden Öfen in der Kirche defekt, beim hinteren Ofen war das Rohr mit 16 Metern zu lang, oder die Ausmündung des Schornsteines war ungünstig. Eine andere Ursache wurde darin gesucht, dass nur einer der beiden Öfen zum Gottesdienst angeheizt war und die giftigen Gase über das Kamin in das Rohr des unbeheizten Ofens gelangten.

Nicht auszuschließen ist, dass der Kirchendiener frühmorgens mit Zeitungen anheizte und auf die unzureichende Glut zu früh Koks auflegte, der dann zu schwelen begann. Hierbei bildete sich Kohlenmonoxyd, das in den Kirchenraum austrat. Das schwere Gas verbreitete sich zunächst am Boden und stieg erst langsam zur Empore auf. Daher waren die Männer, die sich dort aufhielten, auch weniger betroffen.

Aussagen von Zeitzeugen

Herbert Baier, Altbürgermeister aus Bürchau und Kreisrat, übermittelte die Erinnerungen seiner Mutter Elsa, geborene Schlageter, aus Sallneck, Jahrgang 1921, damals eine der 44 Konfirmanden im Gottesdienst. Tatsächlich hatte die Zeitzeugin in ihren Unterlagen den „Gemeindeboten“ vom Januar 1936 aufgehoben, in dem Pfarrer Hack vom Unglück berichtete und Gott dankte, dass niemand zu Tode kam.

Herbert Baier las hieraus Auszüge vor. Seine Mutter war damals mit ihrem Vater, der auf der Empore saß und keine Beeinträchtigungen hatte, in der Kirche. Auf dem Heimweg nach Sallneck wurde sie ohnmächtig und wurde in das Haus des dortigen Bürgermeisters gebracht. Dort wurde sie vom Arzt Hans Griesau ärztlich versorgt.

Unmittelbar nach dem Unglück wurden auf behördliche Anweisungen technische Änderungen im Heizsystem vorgenommen. Besucher des Frühschoppens war Pfarrer Christian Pfarrer Rave. Er äußerte sich augenzwinkernd: „Unsere Kirche wird bald an das Fernwärmenetz angeschlossen. So etwas kann dann nicht mehr passieren.“

 

 

Original-Bericht: MT / Gudrun Gehr
 

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