zurück

Presse - Aktuell

 

BZ & MT - Berichte vom 19. und 20. November 2019

 

 

Als die Wehrmacht das Kleine Wiesental verließ

Zeitzeugen erinnern sich an das Kriegsende und Nachkriegsjahre im Kleinen Wiesental.
 Zu Gast war unter anderem der Sohn eines Tegernauer Dorfpolizisten,
der sich noch gut an 1945 erinnern konnte

 Das Kleine Wiesental mit der Initiative KuK bemüht sich um die Aufarbeitung der NS-Geschichte im Kleinen Wiesental. Zuletzt unterstützte die Initiative den Lokalhistoriker Hansjörg Noe bei seiner Arbeit "Mitgelaufen – NS-Geschichte der Ortschaften im Kleinen Wiesental". Zur neuen Reihe "Zeitzeugen im Gespräch" fanden sich beim Frühschoppen in der "Krone" etwa 40 Besucher ein. Zu Gast war unter anderem der Sohn eines Tegernauer Dorfpolizisten.

Überraschender Brief:
Nicht alltägliche Post fand Hans Viardot von KuK vor einiger Zeit in seinem Briefkasten vor. Klaus-Dieter Bühner, ein fast gleichaltriges Nachbarskind aus längst vergangenen Jahren, übersandte ihm einen langen Brief, der viele alte gemeinsame Erinnerungen enthielt. Der Nachbarsjunge wurde im Jahr 1940 geboren. Er erinnerte sich in dem Schreiben an viele Einzelheiten aus der Kindheit, an die gemeinsamen Spiele und Streiche in Tegernau, welche sechsjährige Kinder zusammen anstellen. Das Schreiben des Freundes aus Kindertagen, das die schwierige Übergangszeit zum Inhalt hatte, inspirierte Hans Viardot mit der Initiative KuK, eine neue Frühschoppenserie unter dem Thema "Zeitzeugen im Gespräch" zu veranstalten. Eben jener nunmehr in Frankfurt am Main wohnende Kindheitsfreund eröffnete am Sonntag die neue Gesprächsreihe in der Krone Tegernau.

Klaus-Dieter Bühners Erinnerungen:
Bühners Großvater Karl Beck war als Gendarm in Tegernau tätig und wurde von seinem Enkel als freundlicher und hilfsbereiter Mensch beschrieben. Die Gendarmerie von Tegernau mit den Arrestzellen im Untergeschoss war damals in dem Gebäude untergebracht, das der kleine Klaus-Dieter mit seiner Familie ebenfalls bewohnte. Jetzt dient das Gebäude als Postagentur und Sparkasse. Bis jetzt hat sich seine Erinnerung an das Kriegsende erhalten.

Ende April 1945 hoben deutsche Soldaten an der Straße nach Wieslet und bei der Brücke am Ortsausgang Gruben aus, um den eindringenden Franzosen die Straßenbenutzung unmöglich zu machen. Das Graben war vergebens: Die Franzosen kamen mit zahlreichen Fahrrädern und einem Panzerspähwagen aus Richtung Wies. Die hier herannahenden Franzosen wurden von verbleibenden deutschen Soldaten von der Waldseite her beschossen, jedoch ohne sich dadurch aufhalten zu lassen. Sein Großvater und dessen zwei Kollegen mussten deshalb stundenlang mit erhobenen Händen vor dem Haus stehen und wären womöglich erschossen worden, wenn aus dem Wald weiterhin Schüsse gefallen wären. Klaus-Dieter Bühner mit seinem phantastischen Gedächtnis blieb nur bis 1946 in Tegernau wohnen.

Weitere Zeitzeugen melden sich:
An dramatische Situationen zum Kriegsende konnten sich weitere Zeitzeugen beim Frühschoppen erinnern. So berichtete eine Bürgerin aus Bürchau, wie ihre damals 16-jährige Freundin von einem marokkanischen Soldaten unter Vorhalt eines Gewehres vom Kartoffelacker in Richtung Wald gezwungen wurde. Nur einem aufmerksamen Einwohner, der eingegriffen hatte, sei es zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert ist.

Ein älterer Tegernauer berichtete vom Fund von Resten einer Frauenleiche bei Eichholz. Es soll sich um eine 24-jährige Frau aus Tegernau gehandelt haben, die auf dem Heimweg vom Kirchgang von marokkanischen Soldaten ermordet worden sein soll. Der Zeuge berichtete, dass die Feuerwehr die vermisste junge Frau etwa ein Jahr lang suchte, es konnten noch der Schuh, Kleiderreste und eine Brosche der Ermordeten in einem Waldstück bei Eichholz aufgefunden werden. Die Funde wurden der französischen Militärpolizei übergeben; was weiter geschah, konnte der Mann nicht angeben.

Zeitzeugen berichteten ebenfalls von Sprengungen in Tegernau und Langensee. Couragierte Bewohner verhinderten die Sprengung der Staumauer des Kraftwerkes an der Köhlgartenwiese durch Angehörige der Wehrmacht.

Info: Weitere Frühschoppen mit Zeitzeugen, jeweils für die einzelnen Ortschaften des Kleinen Wiesentals,
sind vorgesehen. Ein weiteres Thema sind die 1940 und nach Kriegsende aufzunehmenden Flüchtlinge mit Zwangseinquartierungen.

 

Ein Bild wird übergeben:
Klaus-Dieter Bühner war bislang im Besitz eines Gemäldes von Werner Bechtel aus Tegernau, das dieser im Jahr 1947 gemalt hatte. Das Bild stellt Tegernau dar, im Hintergrund ist der Belchen zu sehen. Die Feststellungen von Hans Viardot ergaben, dass ein älteres Bild vom gleichen Motiv existiert, allerdings ohne den Belchen. Dieses stammt vom Vater Werner Bechtels, Rudi Bechtel. Dieses ursprünglich gemalte Bild wurde in das Buch "Das Kleine Wiesental und seine Maler" aufgenommen. Bühner schenkte das Bild der Herkunftsfamilie und übergab es Wolf-Dieter Bechtel, dem Enkel beziehungsweise Sohn der beiden talentierten Maler.


Klaus-Dieter Bühner (rechts) überreichte Hans Viardot von KuK (links) und Wolf-Dieter Bechtel – dem Sohn des Malers –
das Gemälde von Werner Bechtel. Foto: Gudrun Gehr

 

Original-Bericht: BZ / MT / Gudrun Gehr
 

zurück  

nach oben