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BZ-Hautnah
Leser
besuchen das Mahnmal für ermordete Zwangsarbeiter in Elbenschwand
Unter
die Haut ging mehr als 20 Teilnehmern der Besuch des Mahnmals für fünf im April
1945 ermordete Zwangsarbeiter auf dem Hirschkopf im Kleinen Wiesental.
Geschichte hautnah:
20 BZ-Leser besuchten mit Hans Viardot und dem Zeitzeugen Ernst Brenneisen
das Mahnmal im Elbenschwander Wald, mit dem seit 2015 an die Ermordung von fünf
jungen Zwangsarbeitern
durch Hitlerjungen der NS-Organisation Werwolf im April 1945 erinnert
wird. Foto: Robert Bergmann
Mächtig unter die Haut ging über 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Mittwoch
der Besuch des Mahnmals für fünf im April 1945 ermordete Zwangsarbeiter auf dem
Hirschkopf oberhalb von Elbenschwand (Kleines Wiesental). Auf Einladung der
Badischen Zeitung hatten sich die BZ-Leser aus dem Landkreis Lörrach gemeinsam
mit KuK-Vertreter Hans Viardot und dem Zeitzeugen Ernst Brenneisen an den Ort
begeben, der zum Schauplatz eines abscheulichen Verbrechens junger Menschen an
jungen Menschen wurde.
Es ist ein bewegender Moment, als Hans Viardot die Namen der fünf kaum erwachsen
gewordenen Russen, Litauer und Polen verliest, die hier – mitten im Wald und
fern der Heimat – am 25. April 1945 mit Schüssen in den Hinterkopf ums Leben
gebracht wurden. Ermordet von praktisch gleichaltrigen Hitlerjungen, mit denen
sie in den Wochen zuvor noch an Ort und Stelle sowie im Hägelberger Wald
Stellungen für die NS-Partisanenorganisation Werwolf ausgehoben hatten (siehe
Hintergrund). Die Jungen wurden zu Tätern, weil ihnen Leutnant Kurt Rahäuser,
ein fanatischer SS-Mann, der sie beaufsichtigte, das Töten befahl.
Im Herbst des Jahres 1945 fanden Pilzsucher
3 der Leichen
"Sie haben geschossen und sind dann panisch davongerannt", erzählt Hans
Viardot Einzelheiten der Bluttat. Keiner der Jungen habe sich bis dahin
vorstellen können, was es heißt, einen Menschen zu erschießen. Provisorisch
seien die fünf Getöteten danach mit Tannenreisig abgedeckt worden. Im Herbst des
Jahres 1945 fanden Pilzsucher 3 der Leichen –
zur letzten Ruhe gebettet wurden sie auf dem Friedhof in Atzenbach. Zuvor
bereits waren drei weitere Zwangsarbeiter im Hägelberger Forst ermordet worden,
nachdem sie dort mit Hitlerjungen ebenfalls Unterstände für die Organisation
Werwolf gegraben hatten.
Einer der erstaunlichsten Aspekte dieses Kriegsverbrechens in der Idylle des
Kleinen Wiesentals sei für ihn, so erzählt der bald 80 Jahre alte frühere
Landarzt Hans Viardot – er stammt aus Tegernau –, wie lange dieses Verbrechen
vor Ort einfach unter Verschluss gehalten wurde. Er habe mit einigen der
einstigen Hitlerjungen am Stammtisch gesessen, sie und ihre Familien über
Jahrzehnte medizinisch betreut und niemand habe ihm auch nur ein
Sterbenswörtchen anvertraut, staunt Viardot.
Vom französischen Militärgericht verurteilt
Das große Schweigen sei umso erstaunlicher, als die Tat bereits in den 1950er
Jahren juristisch aufgearbeitet wurde. Damals berichtete das Nachrichtenmagazin
Der Spiegel ausführlich darüber, wie die jugendlichen Schützen vom französischen
Militärgericht zu zum Teil mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden und wie
sich Leutnant Kurt Rahäuser, der den Mordbefehl gab, durch Flucht ins Ausland
der Verantwortung entzog. Rahäuser wurde erst im Jahr 1985 vor dem Landgericht
Waldshut-Tiengen "wegen Beihilfe zum Totschlag" zu einer Freiheitsstrafe von
drei Jahren verurteilt. Und erst gegen Ende des Jahrtausends wurden die
Verbrechen von Hägelberg und Elbenschwand einer breiten Öffentlichkeit bekannt –
nicht zuletzt durch die Recherchen des Historikers und einstigen Lörracher
Schulamtsleiters Hansjörg Noe und eines engagierten Lehrers am Steinener
Schulzentrum.
Am Tatort in Hägelberg steht nun schon länger ein kleines Mahnmal. Der an die
drei Tonnen schwere Findling mit bronzener Tafel hoch über Elbenschwand wurde
dort – auf Initiative von KuK Kleines Wiesental erst im Jahr 2015 hingestellt.
"Es ist ein grober Klotz für eine grobe Tat", erklärt Hans Viardot die Idee.
Nazis erklärten Kindersoldaten zu Helden
Tränen in den
Augen: Zeitzeuge Ernst Brenneisen.
Foto: Robert Bergmann
Mit hinauf auf den Hirschberg ist auch Ernst Brenneisen gekommen. Der heute weit
über 80-jährige Landwirt vom Heuberg oberhalb von Schlächtenhaus hat als Kind
die im Hägelberger Wald arbeitenden Hitlerjungen am elterlichen Hof vorbeiziehen
sehen, wenn sie sich mit Proviant beim Schlächtenhauser Ortsgruppenführer
versorgten. Sein Vater habe den braunen Machthabern als politisch unzuverlässig
gegolten, erzählt Brenneisen. Und er beschreibt die Methoden, mit denen die
Kinder und Jugendlichen einst von den Nazis auf braune Linie gebracht wurden.
Brenneisens hatten ebenfalls einen jungen Zwangsarbeiter auf dem elterlichen
Hof, mit dem sich der junge Ernst bestens verstand. Er erzählt von gefährlichen
Spielchen mit im Wald gefundenen scharfen Patronen und vieles mehr. "Für uns war
es eigentlich eine furchtbare Zeit", findet Brenneisen in der Rückschau und ist
den Tränen nah. Die Nazis hätten junge Kindersoldaten zu Helden erklärt, doch
"so viele Helden sind gestorben", sagt er. Dass es heutzutage wieder eine
größere Zahl von Menschen gibt, die – in Chemnitz und anderswo – Jagd auf
Menschen machen und Flüchtlinge ausgrenzen, sei schlimm für Deutschland.
Der Fluch der bösen Tat ließ sie nicht mehr los
Und während es auf dem Hirschkopf zu regnen beginnt, entwickelt sich unter den
Teilnehmern der Hautnah-Exkursion eine angeregte Diskussion darüber, inwieweit
nicht auch die jungen Täter von damals in gewisser Weise zu den Opfern des
damaligen mörderischen Systems zählen und wie man sich selbst wohl verhalten
hätte. Unter den BZ-Lesern besteht Einigkeit darüber, dass es den Nachgeborenen
kaum ansteht, sich über die damaligen Täter zu erhöhen. "Sie waren doch
eingebunden in ein System von Befehl und Gehorsam", sagt ein Teilnehmer.
Hans Viardot erinnert daran, wie den jungen Werwölfen bei ihrer zuvor in
Lörrach-Haagen absolvierten Ausbildung eingetrichtert wurde, zu welch
kriegswichtiger ja kriegsentscheidender Arbeit sie in Hägelberg und Elbenschwand
angeblich abgestellt wurden. Und doch gab es da jenen einen jungen Mann, der –
Befehl hin oder her – zwei junge Zwangsarbeiter warnte, sie zur Flucht
aufforderte – und sich damit den Zwängen einfach widersetzte. Es macht traurig
zu erfahren, dass drei der damaligen Täter später Selbstmord begingen und kaum
einer von ihnen sein Leben auf die Reihe gebracht hat – als habe der Fluch der
bösen Tat sie niemals wirklich losgelassen.
Nachdenklichkeit beherrscht die Gruppe, als es wieder hinabgeht zur
Wolfsschanze, wo die Autos stehen. Es gäbe noch so viel mehr zu sehen hier oben
– die von den "Werwölfen" angelegten Proviantlager etwa für den ausgefallenen
Partisanenkrieg – die gleich nach dem Krieg von der Bevölkerung geplündert
wurden. "Das stülpt einen schon um", sagt ein ehemaliger Lehrer des Steinener
Schulzentrums nach diesem Ausflug, der seinen Abschluss im Tegernauer
Wirtshausmuseum "Krone" findet. Hans Viardot kann bei Kaffee und Kuchen auch die
angenehmeren Aspekte der Kleinwiesentäler Lokalgeschichte hervorheben.
Die Lehren der Geschichte
(ST)EINWURF:
Keine einfachen Wahrheiten
Von Robert Bergmann
Welche Lehren wir aus der Geschichte ziehen können? Sehr viele, wenn wir denn
bereit wären, uns die Vergangenheit daraufhin anzuschauen, was sie uns fürs
heutige Leben lehrt, statt sinnlos die Jahreszahlen der Gründung Roms oder des
Prager Fenstersturzes herunterzubeten. Leider aber macht es uns die Geschichte
nicht immer ganz einfach, die Lektion herauszubekommen, die in einem historisch
verbrieften Vorgang steckt. Ich habe mich ja nun zum wiederholten Male mit dem
Mord an jungen Zwangsarbeitern durch quasi gleichaltrige Hitlerjungen aus der
Region am Ende des Zweiten Weltkriegs in Hägelberg und Elbenschwand beschäftigt.
Unfassbar erscheint uns Nachgeborenen dieser Achtfachmord auf den allerersten
Blick und dann – unter dem Aspekt von Befehl und Gehorsam auch wieder erklärbar.
Dass die Jugendlichen sich einem machtvoll auftretenden "Kriegshelden" wie
Leutnant Rahäuser nicht in den Weg stellen mochten, als dieser sie mit barschen
Worten aufforderte, ihre "militärische Pflicht" zu erfüllen, dafür dürfte der
ein oder andere Verständnis haben. Lautet die historische Lektion in diesem Fall
somit, dass auch wir nicht gefeit wären, eine grausame Tat zu begehen, wenn denn
zuvor nur genügend psychischer Druck auf uns ausgeübt wird? Schauen wir nun aber
genauer hin, ist auch dieser Fall durchaus komplex. Da ist jener junge HJ-ler ,
der – als er erfährt, dass die jungen Zwangsarbeiter ermordet werden sollen –
zwei von ihnen warnt und ihnen zur Flucht verhilft. Einer von 20 hat also den
Mumm und das Hirn, sich dem brutalen Befehl zu widersetzen. Sollte die Lektion
also ganz anders lauten? Etwa so, dass Zivilcourage möglich ist – selbst wenn
einem die ganze Kindheit über inhumane Propaganda ins Hirn geknetet wurde? Es
ist wirklich ein Kreuz mit der Geschichte. Nie gibt sie klare Antworten. Ständig
sind wir gefordert, selbst nachzudenken und eigene Schlüsse zu ziehen.
Vielleicht ist aber auch einfach der Anspruch zu hoch, aus der Vergangenheit
lernen zu wollen. Manch einer von uns lernt schließlich noch nicht einmal aus
dem, was ihm in der unmittelbaren Gegenwart so alles passiert.
Original-Bericht: BZ / Robert Bergmann
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