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Hansjörg Noe hat ein Buch über die NS-Vergangenheit des Kleinen
Wiesentals geschrieben
Hansjörg
Noe hat die Archive über die NS-Vergangenheit des Kleinen Wiesentals
durchforstet.
Am 16. Mai wurde sein Buch in Tegernau vorgestellt.
In Wies befand sich ab Juli
1935 ein Reicharbeitsdienstlager zur militärischen Ausbildung (unten links).
Foto: Hansjörg Noe
Hansjörg Noe. Foto: Sarah Trinler
Siegel mit Hakenkreuz von einer Urkunde aus dem Ortsarchiv in Tegernau.
Foto: Hansjörg Noe
Einige Hürden hatte der Lörracher Lokalhistoriker Hansjörg Noe zu überwinden
bei den Recherchen für sein neues Buch, das sich mit der Geschichte des
Nationalsozialismus im Kleinen Wiesental beschäftigt. In akribischer Kleinarbeit
hat er die große Flächengemeinde mit den acht Ortsteilen durchforstet und ist
auf Interessantes, auch bislang Unbekanntes gestoßen. Am 16. Mai wird das Buch
offiziell in Tegernau vorgestellt.
Bei
der Reichstagswahl am 5. März 1933 hatten die Bürger des Kleinen Wiesentals mit
88,9 Prozent die NSDAP gewählt. Das Ergebnis sei doppelt so hoch als im Amt
Schopfheim oder reichsweit (43,9 Prozent), sagt Hansjörg Noe. Eine solche Zahl
weckt natürlich das Interesse des früheren Geschichtslehrers, der in der Region
bereits die NS-Geschichte von Lörrach, Steinen und Maulburg erforscht und
veröffentlicht hat. Der Anstoß zur Recherche im Kleinen Wiesental kam allerdings
von Hans Viardot vom Verein "Krone und Kultur Kleines Wiesental", nachdem Noe in
der Tegernauer Krone einige Vorträge über das dritte Reich gehalten hatte.
21
Zeitzeugen beteiligten sich
"Die Aufarbeitung und Verortung der Geschichte ist spannend, interessant – und
wichtig", sagt Noe. Es sei nicht seine Absicht, die "Scheußlichkeiten" der
NS-Zeit aufzuzählen, sondern das Lebensbild der damaligen Bevölkerung, was sie
gefühlt und erlebt haben, aufzuzeigen. Doch sei er auch im Kleinen Wiesental auf
einige Widerstände gestoßen: "Es gibt immer Menschen, die sagen: Lasst das, das
ist doch vorbei", so Noe. Auf einen Aufruf im Mitteilungsblatt, ob jemand etwas
zu seinen Recherchen beisteuern könnte, habe sich niemand gemeldet. Für den
77-Jährigen war dies eher ein Grund, dranzubleiben, statt aufzugeben.
Über Mundpropaganda hat er dann doch Kontakt zu 21 Zeitzeugen bekommen, die
"sehr zugänglich" waren und in intensiven Einzelgesprächen Eindrückliches
schilderten. Noe bekommt einen nachdenklichen Blick, wenn er von den
Gesprächspartnern – mehrheitlich Frauen – erzählt. Sie waren eine von drei
Hauptquellen für seine Recherchen. Einige haben vom Reichsarbeitsdienstlager in
Wies berichtet, das ab Juli 1935 in Betrieb war und in Noes Buch ein eigenes
Kapitel bekommen hat. Andere erinnerten sich an die Aufmärsche, die vielen
Fahnen des NS-Regimes im Dorf oder das Hitlerfest, das einem strengen Ritual
unterlegen war. "Und anschließend ging es in die Kirche", sagt Noe, "die haben
also noch mitgemacht".
Zwangsversetzt nach Wies
Auch mit der Schwiegertochter des evangelischen Pfarrers Ludwig Simon aus Wies
hat Noe gesprochen. Simon galt als widerständige Person. 1934 war er nach Wies
zwangsversetzt worden, nachdem er am Tage der Kanzlerwahl Adolf Hitlers in
Gegenwart von Soldaten und Gefangenen eine äußerst kritische Predigt gehalten
hatte. Doch auch im Kleinen Wiesental hielt Simon mit seiner Meinung nicht
hinterm Berg. Er wurde von der Gestapo überwacht, bis er 1938 eingezogen wurde.
Später kehrte Simon nach Wies zurück und wirkte wieder als Dorfpfarrer, auch
arbeitete er in Schopfheim als Religionslehrer.
Die zweite große Quelle für Noes Recherchen waren die Zeitungsarchive von 1925
bis 1944. "Wer damals lesen, schreiben und hören konnte, hat alles gewusst",
sagt Noe. So seien auch Themen wie die Judenverfolgung in den Zeitungen
behandelt worden. Mit Interesse habe er auch die Vermissten- und Todesanzeigen
studiert. Wenn etwa ein gefallener Soldat in Russland bestattet worden war,
wurde "in kalter Erde" dazu geschrieben.
Viel
Zeit in Archiven verbracht
Die dritte Quelle stellten die Archive dar – bei einer Einheitsgemeinde,
bestehend aus vormals acht eigenständigen Gemeinden, keine leichte Aufgabe. Die
Archive sind teils in Tegernau, teils noch in den Ortsverwaltungen gelagert. Er
habe einige Kilometer im Kleinen Wiesental zurückgelegt, sagt Noe schmunzelnd.
Noch viel größer als die Zahl der zurückgelegten Kilometer sei allerdings die
investierte Zeit: Zwei Jahre hat Noe an dem Buch gearbeitet, manchmal war er den
ganzen Tag mit der Geschichte des Kleinen Wiesentals beschäftigt. "Wenn ich so
etwas mache, dann bin ich sehr fixiert, kann etwa nicht einfach mal
zwischendurch etwas anderes machen."
Hinzu kamen Recherchen im Landesarchiv Freiburg, Generalarchiv und Landesarchiv
Karlsruhe, in den Stadtarchiven Lörrach, Schopfheim und Weil am Rhein sowie im
Bundesamt Potsdam. Letzteres hat Noe nicht selbst besucht, sondern sich Kopien
schicken lassen. Die Unterstützung aus den Archiven sei groß gewesen.
Ideelle Unterstützer vor Ort waren Hans Viardot und Bürgermeister Gerd
Schönbett. Das Buch wird übrigens nicht – wie bei Lörrach, Steinen und Maulburg
– von der Gemeinde herausgegeben, sondern vom Geschichtsverein Markgräflerland,
der sich gleich dazu bereiterklärt habe. Finanzielle Unterstützung gab’s vom
Landkreis Lörrach.
Nachdenkliche Wortwahl
Der Titel lautet "Mitgelaufen – NS-Geschichte der Ortschaften im Kleinen
Wiesental". Der Begriff Mitgelaufen bezieht sich auf die Entnazifizierungszeit,
in der die Alliierten die Deutschen zur Beurteilung ihrer Verantwortlichkeit in
Kategorien wie Hauptschuldige und Mitläufer eingeteilt hatten.
"Ich gehe nachdenklich mit meiner Wortwahl um", betont Noe, der immer wieder
auch kritische Stimmen für seine Bücher einstecken muss. Er möchte Menschen
nicht be- oder verurteilen. Doch zur Geschichte gehöre eben auch die unbequeme
Vergangenheit.
BZ-Bericht: Sarah Trinler
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