Friedrich Ludwig
Ein
Essay von
Bernd
Siegel
Biographie
Eine fantastische
Heimkehr
Ein vergessener Einzelgänger
-
ein Portrait
ehemaliges Museum
zu
den
Galerien der
KUK-Ludwig-Sammlung:
Galerie 1
Galerie 2
Galerie
3
Gemäldegalerie
des ehem.
Ludwig-Museums:
Teil 1
Teil 2
|
Ein Maler kehrt in sein Heimatdorf zurück. Doch der Mann lebt seit über 30
Jahren nicht mehr, und in dem Dorf gibt es kaum jemanden, der ihn kannte.
Und doch sind es mehr als nur die Bilder des Friedrich Ludwig (1895-1970),
die
nach Wieslet im Kleinen Wiesental, knapp 30 Kilometer von Basel entfernt, in das
verwaiste Pfarrhaus gekommen sind.
Ein ganzes Dorf, ja eine ganze Region, nimmt Anteil an der
Rückkehr eines unbekannten Sohnes und staunt, was für ein verkannter und niemals bekannter Meister in diesem
Schwarzwaldwinkel geboren und aufgewachsen ist.
Ludwig hatte das Zeug zu einem
ganz großen Expressionisten. Die Farbenpracht seiner Ölbilder und die Anmut
seiner Rötelzeichnungen begeistern die von weit her anreisenden Kunstexperten
und die einfachen Leute vom Land gleichermaßen.
Allein die Odyssee der Bilder
ist eine phantastische Geschichte. Ludwig, ein eigenbrötlerischer Querkopf,
konnte sich zeitlebens von kaum einem seiner Bilder trennen und hinterließ nach
seinem Tod ein paar Tausend bemalte Leinwände.
Ein prall gefüllter
Schrank davon stand Anfang der 80er Jahre im Hof einer Tankstelle in der Nähe
von Berchtesgaden. Der Schrank stammte aus dem Nachlass eines Freundes von
Ludwig, der Zufall wollte es, dass der Juraprofessor und Verleger Sigurd Marien
auf dem Heimweg von Salzburg Richtung Chiemsee anhalten und tanken musste. Doch
die Tankstelle war längst außer Betrieb, stattdessen wohnte dort eine
Trödlerin. Dem Professor gefiel der alte Schrank, und er wollte ihn kaufen. Das
gehe nicht, wurde ihm beschieden, denn da sein noch viele Leinwände drin, die
müsse man erst ausräumen. Marien benötigte nur wenige Blicke, um zu ahnen, was für einen Schatz er
vor sich hatte, und er kaufte die Leinwände samt Schrank.
Die "alten Leinwände", fast 500
Stück, waren Bilder von Friedrich Ludwig. Professor Marien gelang es, die Witwe
des Malers in Berchtesgaden ausfindig zu machen und mit ihr den Großteil von
Ludwigs Werken. Marien kaufte sie und ließ sie in einen vorzeigbaren Zustand
bringen. Der Münchner Kunsthistoriker Reinhard Müller-Mehlis sah bei Professor
Marien den gehobenen Schatz und feierte in der Weltkunst im August 1985 die
Wiederentdeckung eines "Koloristen von hohen Gnaden". Erstmals publizierte
damit eine Fachzeitschrift Einzelheiten aus dem bewegten Leben des
"heimatlosen Zugvogels", der sein Heimatdorf schon früh verlassen und
in Frankfurt, Berlin, München, Paris und Florenz in künstlerischen Kreisen
lernte und verkehrte.
Friedrich Ludwig, 1895 in Wieslet als neuntes von 17 Kinder geboren, entdeckte
seine Leidenschaft für die Malerei als Kind, als er auf dem Speicher
eines Bauernhofs eine Reproduktion von Rembrands "Drei Bäume" fand. Sie
habe ihn "seltsam erregt", sagte er später. Nun wollte er Kunstmaler
werden. Das gehe nicht, dafür sei kein Geld da, erklärte sein Vater.
Immerhin, Anstreicher durfte der Bub werden, das hat ja auch etwas mit
Farben zu tun.
Dass der Junge Talent hatte, fiel dann dem Rektor der Schopfheimer
Gewerbeschule auf, der Arbeiten von ihm an einen Kunstprofessor in
Karlsruhe schickte. Ein
Stipendium wurde in Aussicht gestellt, doch Ludwig lehnte - wie noch oft in
seinem Leben - fremde Hilfe rundweg ab. Er beendete seine Lehre als
Anstreicher und ging vor dem ersten Weltkrieg nach Zürich, wo er als
Dekorateur arbeitete. Nach dem Krieg hätte es durchaus etwas werden können
mit Ludwigs Karriere als Maler. Er studierte an der Frankfurter Städel-Schule,
reiste nach Italien und begegnete dort den Quattrocentisten, studierte in
Paris und lernte Cézanne und den Kubismus kennen. Man wurde in den
einschlägigen Kreisen auf den talentierten jungen Mann aufmerksam. Doch
der war schwierig und wenig geschäftstüchtig. Wenn ihm ein potentieller
Abnehmer eines Bildes nicht gefiel, gab er es nicht her. Nur manchmal,
wenn mal wieder gar nichts zum Essen da war, trennte er sich schweren
Herzens von einem Werk. Überhaupt kümmerte er sich nur widerwillig oder
gar nicht um den Verkauf seiner Bilder. Lieber malte er, korrigierte, verränderte
seine Bilder, besessen von einem Drang zur perfekten Ausdrucksweise.
Als endlich 1934 Ludwigs erste große Ausstellung in München stattfinden
sollte, waren die Nationalsozialisten an der Macht. Es war alles
vorbereitet, die Bilder hingen bereits, doch der Münchner NS-Gauleiter Wagner drohte dem
Kunstverein:
"Wenn
das Zeug bis morgen nicht von den Wänden ist, lasse ich es abhängen und
mit Benzin übergießen." Ludwigs Freund Karl Hofer fuhr die Bilder nachts
mit
einem Heuwagen nach Oberbayern und deponierte sie auf seinem Speicher.
Die von den Nazis verhinderte Ausstellung war wohl das Ereignis, das den 38-jährigen Ludwig traumatisierte. Er war kein politischer
Künstler, auch wenn er sozialistische Äußerungen zugeschrieben werden
und er Bilder gemalt hat, die ihn als Nazigegner erkennen
lassen, ein jüdisches Mädchenporträt etwa und ein
KZ-Häftling. Die Angst seine geliebten Bilder zu
verlieren, begleitete ihn den Rest seines Lebens. Sein Misstrauen und
sein Eigensinn nahmen groteske Formen an. Ludwig lehnte sowohl ein Angebot
aus Zürich auf ein kostenlosen Aufenthalt ab als auch die Bitte eines
Freundes, ihn nach Amerika zu begleiten. Ludwig schien seine
Rolle als Außenseiter und Verlierer verinnerlicht zu haben. Seine Emigration
war der Rückzug in die Welt der Farben und Phantasien. Aus dieser Zeit
stammen Werke, die Anlehnen bei allen großen Expeditionen aufweisen
und doch eine ganz eigene Handschrift zeigen. Unverkennbar das Vorbild Cezanne, unverkennbar auch die Nähe zu seinem Freund Ludwig
Kirchner. Anlehungen an Beckmann, Marc, Matisse, Kandinsky und natürlich
auch Picasso - aber keine Adaption.
Auch nach dem neuerlichem Weltkrieg
schlug die Stunde für den verkannten Maler nicht. Mit kunsthandwerklichen
Auftragsarbeiten schlug sich Ludwig mehr schlecht als recht durchs Leben.
Er heiratete 1954 die Märchenerzählerin Christel Jacobi, die 1955 einen Sohn gebar. Die Ehe hielt nicht lange, Ludwig verließ
nach drei Jahren das Haus, bald darauf wurde er psychisch krank und kam in die Nervenheilanstalt Gabersee bei Wasserburg
am Inn. Der Sohn Michael nahm sich 1969 im Alter van 13 Jahren
das Leben.
Friedrich Ludwig starb am 22. Januar 1970 in Gabersee.
Seine
Witwe Christel Jacobi heiratete erneut und starb 1992.
Ob wohl er meist weg war und nur von Zeit zu Zeit überraschend und
lediglich für wenige Tage wieder auftauchte, war Friedrich Ludwig in
seiner Heimat nicht ganz vergessen. Zumal Ludwig nicht der einzige Maler
in Wieslet war. Ein anderer Vertreter der Zunft, der Zeichner Ernst
Schleith war besser im Gedächtnis der Menschen haften geblieben und im
Zusammenhang mit ihm war immer mal wieder die Rede von "dem anderen, dem
Ludwig-Maler". Der Verein "Kunst und Kultur Kleines Wiesental", eine
Initiative von rund 30 Kunstfreunden um den Arzt Hans Viardot bemühte sich
seit Anfang der 90er Jahre um die Künstler, wurde auf Bilder von Ludwig
aufmerksam. Verwandte meldeten sich und über Jahre hinweg wurden Spuren
gesucht.
Als sich die Kunstfreunde aus den Wiesental und
Professor Marien 1996 endlich an der Mosel gefunden hatten, waren alle
Beteiligten überwältigt. Die Schwarzwälder von der Farbenpracht der
Landschaftsbilder und Rötelzeichnungen von ortsbekannten Bäuerinnen und
Handwerkern, der Professor von der unermüdlichen Detektivarbeit und
Begeisterung seiner Gäste. Im verwaisten Pfarrhaus der 750 Einwohner großen
Gemeinde Wieslet hängen nun etwa 120 Bilder auf zwei Stockwerken. Nur am Sonntagnachmittag und nur für drei Stunden oder nach besonderer
Vereinbarung ist das kleine
Museum geöffnet, denn die Eintrittskasse machen ehrenamtliche Helfer.
Natürlich erregen die Zeichnungen und Gemälde aus der Gegend bei der
Einheimischen das meiste Interesse. Das "Sonneneck" zum Beispiel, eine
Ansicht des Dorfkerns um die Wiesenbrücke herum oder der "Schneiderhof von
Kirchhausen". Aber auch die späten Werke, phantastische Traumgeschöpfe,
rätselhafte Gesichter zwischen Baumwipfeln, exzessives Schwelgen in Farben ohne
den geringsten Hauch von Kitsch, ausdrucksstarke Porträts von seinem Sohn,
seinen Eltern und von ihm selbst. Mit den Bildern ist der Maler posthum in
seinen Geburtsort zurückgekehrt. Insgesamt an die 2000 Bilder sind erhalten - da ist
in weiteren Ausstellungen noch einiges zu entdecken.
Essay von Bernd Siegel in der "Zeitung zum Sonntag", 5.September 1999
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