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Die Rückkehr des Unbekannten |
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Ein Maler kehrt in sein Heimatdorf zurück. Doch der Mann lebt seit über 30
Jahren nicht mehr, und in dem Dorf gibt es kaum jemanden, der ihn kannte.
Ludwig hatte das Zeug zu einem ganz großen Expressionisten. Die Farbenpracht seiner Ölbilder und die Anmut seiner Rötelzeichnungen begeistern die von weit her anreisenden Kunstexperten und die einfachen Leute vom Land gleichermaßen.
Allein die Odyssee der Bilder
ist eine phantastische Geschichte. Ludwig, ein eigenbrötlerischer Querkopf,
konnte sich zeitlebens von kaum einem seiner Bilder trennen und hinterließ nach
seinem Tod ein paar Tausend bemalte Leinwände.
Die "alten Leinwände", fast 500
Stück, waren Bilder von Friedrich Ludwig. Professor Marien gelang es, die Witwe
des Malers in Berchtesgaden ausfindig zu machen und mit ihr den Großteil von
Ludwigs Werken. Marien kaufte sie und ließ sie in einen vorzeigbaren Zustand
bringen. Der Münchner Kunsthistoriker Reinhard Müller-Mehlis sah bei Professor
Marien den gehobenen Schatz und feierte in der Weltkunst im August 1985 die
Wiederentdeckung eines "Koloristen von hohen Gnaden". Erstmals publizierte
damit eine Fachzeitschrift Einzelheiten aus dem bewegten Leben des
"heimatlosen Zugvogels", der sein Heimatdorf schon früh verlassen und
in Frankfurt, Berlin, München, Paris und Florenz in künstlerischen Kreisen
lernte und verkehrte. Dass der Junge Talent hatte, fiel dann dem Rektor der Schopfheimer Gewerbeschule auf, der Arbeiten von ihm an einen Kunstprofessor in Karlsruhe schickte. Ein Stipendium wurde in Aussicht gestellt, doch Ludwig lehnte - wie noch oft in seinem Leben - fremde Hilfe rundweg ab. Er beendete seine Lehre als Anstreicher und ging vor dem ersten Weltkrieg nach Zürich, wo er als Dekorateur arbeitete. Nach dem Krieg hätte es durchaus etwas werden können mit Ludwigs Karriere als Maler. Er studierte an der Frankfurter Städel-Schule, reiste nach Italien und begegnete dort den Quattrocentisten, studierte in Paris und lernte Cézanne und den Kubismus kennen. Man wurde in den einschlägigen Kreisen auf den talentierten jungen Mann aufmerksam. Doch der war schwierig und wenig geschäftstüchtig. Wenn ihm ein potentieller Abnehmer eines Bildes nicht gefiel, gab er es nicht her. Nur manchmal, wenn mal wieder gar nichts zum Essen da war, trennte er sich schweren Herzens von einem Werk. Überhaupt kümmerte er sich nur widerwillig oder gar nicht um den Verkauf seiner Bilder. Lieber malte er, korrigierte, verränderte seine Bilder, besessen von einem Drang zur perfekten Ausdrucksweise. Als endlich 1934 Ludwigs erste große Ausstellung in München stattfinden sollte, waren die Nationalsozialisten an der Macht. Es war alles vorbereitet, die Bilder hingen bereits, doch der Münchner NS-Gauleiter Wagner drohte dem Kunstverein: "Wenn das Zeug bis morgen nicht von den Wänden ist, lasse ich es abhängen und mit Benzin übergießen." Ludwigs Freund Karl Hofer fuhr die Bilder nachts mit einem Heuwagen nach Oberbayern und deponierte sie auf seinem Speicher.
Die von den Nazis verhinderte Ausstellung war wohl das Ereignis, das den 38-jährigen Ludwig traumatisierte. Er war kein politischer
Künstler, auch wenn er sozialistische Äußerungen zugeschrieben werden
und er Bilder gemalt hat, die ihn als Nazigegner erkennen
lassen, ein jüdisches Mädchenporträt etwa und ein
KZ-Häftling. Die Angst seine geliebten Bilder zu
verlieren, begleitete ihn den Rest seines Lebens. Sein Misstrauen und
sein Eigensinn nahmen groteske Formen an. Ludwig lehnte sowohl ein Angebot
aus Zürich auf ein kostenlosen Aufenthalt ab als auch die Bitte eines
Freundes, ihn nach Amerika zu begleiten. Ludwig schien seine
Rolle als Außenseiter und Verlierer verinnerlicht zu haben. Auch nach dem neuerlichem Weltkrieg schlug die Stunde für den verkannten Maler nicht. Mit kunsthandwerklichen Auftragsarbeiten schlug sich Ludwig mehr schlecht als recht durchs Leben. Er heiratete 1954 die Märchenerzählerin Christel Jacobi, die 1955 einen Sohn gebar. Die Ehe hielt nicht lange, Ludwig verließ nach drei Jahren das Haus, bald darauf wurde er psychisch krank und kam in die Nervenheilanstalt Gabersee bei Wasserburg am Inn. Der Sohn Michael nahm sich 1969 im Alter van 13 Jahren das Leben. Friedrich Ludwig starb am 22. Januar 1970 in Gabersee. Ob wohl er meist weg war und nur von Zeit zu Zeit überraschend und lediglich für wenige Tage wieder auftauchte, war Friedrich Ludwig in seiner Heimat nicht ganz vergessen. Zumal Ludwig nicht der einzige Maler in Wieslet war. Ein anderer Vertreter der Zunft, der Zeichner Ernst Schleith war besser im Gedächtnis der Menschen haften geblieben und im Zusammenhang mit ihm war immer mal wieder die Rede von "dem anderen, dem Ludwig-Maler". Der Verein "Kunst und Kultur Kleines Wiesental", eine Initiative von rund 30 Kunstfreunden um den Arzt Hans Viardot bemühte sich seit Anfang der 90er Jahre um die Künstler, wurde auf Bilder von Ludwig aufmerksam. Verwandte meldeten sich und über Jahre hinweg wurden Spuren gesucht. Als sich die Kunstfreunde aus den Wiesental und Professor Marien 1996 endlich an der Mosel gefunden hatten, waren alle Beteiligten überwältigt. Die Schwarzwälder von der Farbenpracht der Landschaftsbilder und Rötelzeichnungen von ortsbekannten Bäuerinnen und Handwerkern, der Professor von der unermüdlichen Detektivarbeit und Begeisterung seiner Gäste. Im verwaisten Pfarrhaus der 750 Einwohner großen Gemeinde Wieslet hängen nun etwa 120 Bilder auf zwei Stockwerken. Nur am Sonntagnachmittag und nur für drei Stunden oder nach besonderer Vereinbarung ist das kleine Museum geöffnet, denn die Eintrittskasse machen ehrenamtliche Helfer. Natürlich erregen die Zeichnungen und Gemälde aus der Gegend bei der Einheimischen das meiste Interesse. Das "Sonneneck" zum Beispiel, eine Ansicht des Dorfkerns um die Wiesenbrücke herum oder der "Schneiderhof von Kirchhausen". Aber auch die späten Werke, phantastische Traumgeschöpfe, rätselhafte Gesichter zwischen Baumwipfeln, exzessives Schwelgen in Farben ohne den geringsten Hauch von Kitsch, ausdrucksstarke Porträts von seinem Sohn, seinen Eltern und von ihm selbst. Mit den Bildern ist der Maler posthum in seinen Geburtsort zurückgekehrt. Insgesamt an die 2000 Bilder sind erhalten - da ist in weiteren Ausstellungen noch einiges zu entdecken.
Originaltext:
Zeitung zum Sonntag, 5.September 1999. Autor: Bernd Siegel
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