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Aufarbeitung
ist keine Bettlektüre
Hansjörg Noe stellte sein Buch zur Nazi-Zeit im Kleinen Wiesental
vor /
Geschichtsverein selbstkritisch mit eigner NS-Vergangenheit.

Historiker Hansjörg Noe stellte sein Buch über die NS-Zeit im Kleinen Wiesental
der Öffentlichkeit vor.
Foto: Gudrun Gehr
Dass für viele Menschen
die Aufarbeitung der NS-Zeit sehr wichtig ist, zeigte der große Besucherstrom an
der Buchvorstellung "Mitgelaufen" des ehemaligen Schulamtsdirektors Hansjörg Noe.
Die Gäste, die auch aus der weiteren Umgebung angereist waren, füllten den
Sitzungsraum des Tegernauer Rathauses bis auf den letzten Platz.
Über zwei Jahre hinweg
führten Noe die Forschungen zu den Ortsarchiven, dem Landesarchiv Freiburg, dem
General- und Landesarchiv Karlsruhe, zu den Stadtarchiven von Schopfheim und
Lörrach, sowie zum Militärarchiv in Potsdam. Hilfreich waren auch die Ausgaben
des Markgräfler Tagblattes aus den Jahren von 1923 bis 1944. Noe berichtet:
"Hier stand so ziemlich alles drin, was im NS-Staat geschah, inklusive
Euthanasiemaßnahmen, Zwangssterilisationen oder der Verfolgung der Juden.
Ausgespart wurden lediglich Vergasungen in den Konzentrationslagern." Noe
schließt daraus: "Keiner kann sagen, er hat nichts gewusst."
Noe ist überzeugt, dass aufgrund herrschender rechtsradikaler Tendenzen immer
wieder an die Zeit der NS-Diktatur erinnert werden muss. Hier führte Noe den
geschichtlichen Bogen zu den Wahlergebnissen der NSDAP im Jahr 1933. Während die
NSDAP im "Musterdorf" Steinen damals Wahlergebnisse um 54 Prozent erzielte,
wählten die Teilorte des Kleinen Wiesentals bereits zu diesem frühen Zeitpunkt
die Partei mit fast 90 Prozent Zustimmung. Noe erklärt diese Wahlergebnisse mit
der landwirtschaftlichen Prägung, der früheren Dominanz der Bauernpartei, dem
Fehlen industrieller Arbeiterschaft und dem strengen Protestantismus. Die
Ideologie der "Blut-und Boden-Politik" griff hier schnell um sich und setzte
sich bis in den letzten Winkel des Kleinen Wiesentals fort. Die Jugend wurde mit
Aktivitäten bei den Pimpfen, der Hitlerjugend oder dem Bund Deutscher Mädel
begeistert und vereinnahmt. Im Rahmen der "Selbstgleichschaltung" schufen die
einzelnen Ortschaften selbständig ihre NS-Ortsgruppenleitungen, ohne dass die
Partei hierzu eingreifen musste. Noe berichtete auch über seine Motivation zum
Schreiben des Werkes: "Nie wieder rechts." Der Sonderband ist spannend und
speziell auf die jeweiligen Dörfer zugeschnitten. Noe meinte: "Es ist aber keine
Bettlektüre."
Dass es nicht nur Anhänger des NS-Systems im Kleinen Wiesental gab, bewies der
1935 nach Wies strafversetzte Pfarrer Ludwig Simon, auch "rotes Vikarli"
genannt. Wegen seiner kritischen Haltung und seiner Mitgliedschaft bei den
Christlichen Sozialisten geriet er ins Blickfeld der Machthaber. Er wurde als
Soldat eingezogen, kam in Kriegsgefangenschaft und wurde bis 1947 interniert.
Ludwig Simon ist Ehrenbürger von Wies. Noe berichtete: "Pfarrer Simon hat alle
Widerstände überlebt – es war auch möglich, in der NS-Zeit anders zu denken."
Hansjörg Noe dankte Hans Viardot vom Verein Krone und Kultur (KuK),
Bürgermeister Gerd Schönbett mit der Gemeindeverwaltung und Justina Scherr für
ihre Unterstützung, insbesondere auch den 25 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die
sich für die Gespräche zur Verfügung stellten. Schönbett begrüßte neben den
Besuchern auch Hubert Bernnat, den Vorsitzenden des Geschichtsvereins
Markgräflerland. Der Geschichtsverein hatte die Druckkosten für den 170 Seiten
umfassenden Sonderband der Reihe "Das Markgräflerland" spontan unterstützt. An
der Finanzierung beteiligten sich ferner der Verein KuK, der Landkreis Lörrach
und mit einem "Zustupf" das Regierungspräsidium. Die Arbeit von Hansjörg Noe
erfolgte ehrenamtlich.
Vorstand Hubert Bernnat blickte selbstkritisch auf die Vergangenheit des
Geschichtsvereins. An der Person des aus Elbenschwand-Langensee stammenden
ehemaligen Schriftleiters Karl Seith zeigte sich, dass auch der Markgräfler
Geschichtsverein in die Ideologie der NS-Zeit involviert war. Seith war
überzeugter nationalsozialistischer Propagandist. Bernnat meinte: "Auch unser
Geschichtsverein war in die damalige Diktatur verstrickt, wir müssen uns mit
unserer eigenen Geschichte beschäftigen."
Hansjörg Noe hatte bereits die Zeit der NS-Diktatur in Lörrach, Steinen und
Maulburg erforscht und publiziert. Die entsprechende Aufarbeitung der Geschichte
von Hausen ist geplant.
BZ-Bericht: Gudrun Gehr
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