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Die Chronik der sonntäglichen "Krone - Frühschoppen"

 

 

 

Der Legende vom heiligen Trinker in Tegernau die Krone aufgesetzt

Vollblutschauspieler Norbert Schwientek begeisterte mit seiner leidenschaftlich
vorgetragenen Lesung im Wirtshausmuseum das Publikum.


Norbert Schwientek bei seiner Lesung in der Tegernauer Krone. Foto: Roswitha Frey

Ein rustikaler Holztisch in einem alten urigen Gasthaus, darauf ein Glas Pernod: Selten hat das Ambiente so gut gepasst wie bei der literarischen Sonntagsmatinee im Wirthausmuseum "Krone", wo der bekannte Schauspieler Norbert Schwientek "Die Legende vom heiligen Trinker" von Joseph Roth las. Dies "nur" eine Lesung zu nennen, wäre aber untertrieben, denn der großartige Vollblutschauspieler ließ dank seiner volltönenden, kraftvollen Stimme, seiner Mimik und Gestik und seinem komödiantischen Humor diese Geschichte überaus plastisch auf die Zuhörer wirken.

Zu dem sprachbrillanten Erzähler Roth hat Schwientek eine sehr persönliche Beziehung. Er hat den Schriftsteller sogar im Film dargestellt, in der Verfilmung "Die Manns – ein Jahrhundertroman" von Heinrich Breloer. Auch für diese Novelle vom "heiligen Trinker", die der Autor als sein "Testament" hat und die sein letztes Werk wurde, erweist sich Schwientek als idealer Interpret. Eindringlicher, humorvoller, berührender kann man diese Erzählung kaum vortragen als Schwientek, der mit enormer schauspielerischer Präsenz die Figuren und Geschehnisse wie in einem Erzähltheater lebendig werden lässt. Zwischendurch nimmt er immer mal einen Schluck Pernod – als kleine Reminiszenz an eine "szenische" Lesung.

Man spürt in jedem Moment, wie sehr der Schauspieler, der seit langem in Neuenweg seinen Zweitwohnsitz hat, mit Roths Sprache und Erzählkunst vertraut ist. Er bannt die Zuhörer mit dieser Geschichte vom Trinker Andreas, einem Kohlearbeiter aus Polen, der als verwahrloster Obdachloser unter den Brücken der Seine in Paris haust und dem in den letzten Wochen seines Lebens lauter wundersame Dinge geschehen: Er begegnet einem fremden Herrn, der ihm 200 Francs leiht, sucht einen Frisörladen auf, einen Lederwarenladen, eine Taverne, ein Etablissement mit gefälligen Mädchen in Montmartre. Viel Merkwürdiges passiert dem armen Stadtstreicher, der ein "Mann von Ehre, aber ohne Adresse" ist: Er trifft seine frühere Liebe Karoline wieder, wegen der er im Gefängnis saß, er trifft frühere Ex-Kumpane, findet in einer Brieftasche einen 1000-Franc-Schein, erlebt im Hotel ein Techtelmechtel mit einer jungen schönen Casino-Tänzerin. Immer wieder zieht es ihn mit seinen zufälligen Bekanntschaften in die Bistros, in die Kneipen, wo er das Geld vertrinkt. Ständig kommt etwas dazwischen, wenn er seine Schuld und sein Ehrenwort bei der Heiligen Therese in der Kapelle einlösen und das geliehene Geld zurückbringen will, aus Dankbarkeit gegenüber dem Schicksal, das ihn so unvermutet verwöhnt.

Ja, die heilige Therese erscheint ihm gar noch im Traum. Die seltsamen Ereignisse, der überraschende Geldsegen und die Zeit der Wunder, die dem Clochard Andreas am Lebensende zufallen, schildert Joseph Roth sprachlich meisterlich. Und Schwientek versteht diese bewegende Geschichte mit ihren tragikomischen und teils erheiternden Wendungen in seiner Lesung sehr nuancenreich darzustellen: Das Derbe und Zarte, das Ironische, das Heitere und Tragische, das Lebensphilosophische der Hauptfigur kommen eindrücklich zur Geltung. Der Applaus der begeisterten Zuhörer sprach für sich, meinte Hans Viardot. Er freute sich, dass Schwientek schon zum wiederholten Mal in Tegernau zu Gast war, zuletzt in der Krone mit Tschechow-Geschichten.

Joseph Roth, 1894 in Brody/Galizien geboren, emigrierte 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach Paris und starb dort 45-jährig und vom Alkohol zerrüttet in einem Armenkrankenhaus. Bekannt geworden sind seine Romane "Hotel Savoy", "Hiob", "Radetzkymarsch", "Die Kapuzinergruft" … und als "sein Vermächtnis" 1939 "Die Legende vom Heiligen Trinker".

Norbert Schwientek, 1942 in Oppeln/Oberschlesien geboren, Schauspielausbildung 1964 bis 1967 in Stuttgart, hat an zahlreichen deutschsprachigen Theatern von München, Berlin, Hamburg, Essen, Frankfurt, Salzburg und Basel bis Zürich gearbeitet, viele Rollen wie Natan/Lessing, Adam/Kleist, Shylock/Shakespeare, Kreon/Sophokles oder Onkel Wanja/Tschechow vollblutig verkörpert, viele Eigenproduktionen an verschiedenen Theatern gespielt und in vielen Kino- und Fernsehfilmen (zum Beispiel Spinnennetz" von Bernhard Wicki oder "Die Manns – Ein Jahrhundertroman") mitgemacht. Erstmals ist Schwientek am 27. März 1998 bei KuK mit "Flüssiges und Überflüssiges" zusammen mit dem Klavierspieler Aldo Fross unvergesslich in der "Rothenburg" im Kleinen Wiesental aufgetreten. Genau so unvergesslich ist seine Tschechow-Lesung "Ein schutzloses Wesen und andere Kurzgeschichten" am 30. März 2008 in der Tegernauer "Krone".

Bericht: BZ/Roswitha Frey

 

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