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"Stadtluft macht nicht mehr frei"
BZ-INTERVIEW mit
Professor Peter Kern, der am Sonntag beim
Krone-Frühschoppen zum Lob der Provinz anhebt.

Klein, aber lebenswert – die Dörfer im Südschwarzwald. Foto:
Luftbild: Erich Meyer

Peter Kern Foto: H. Fabry
Am Sonntag um 11 Uhr
wird Professor Peter Kern beim Frühschoppen in der "Krone" seinen Vortrag
"Lob der Provinz – Nachdenken über ein gelingendes Leben" präsentieren.
Das Thema in Verbindung mit dem Vortragsort löst Unsicherheit aus. Sind
wir provinziell? Und wenn wir im Wiesental in der Provinz leben, was ist
daran lobenswert? BZ-Mitarbeiter Heiner Fabry unterhielt sich mit
Professor Kern.
BZ: Herr Professor
Kern, leben wir im Wiesental in der Provinz? Sind wir provinziell?
Peter Kern (lacht): Die Menschen im Wiesental würden eher sagen, sie leben
im "ländlichen Raum", aber der Begriff ist so vage und so durchgekaut,
dass er nur noch schwer fassbar ist. Ich habe mich bewusst für den
durchaus provokativen Begriff "Provinz" entschieden, gerade weil er auch
negativ besetzt ist.
BZ: Welchem Begriff stellen Sie dann die "Provinz" gegenüber?
Kern: In meinem Vortrag gehe ich auf die Entwicklung in unserer heutigen
Welt ein, die Groß- und Megastädte, die Ballungsräume auf der einen Seite,
und auf der anderen Seite eben die Provinz. Seit 2007 leben mehr Menschen
in Städten als auf dem Land. In Städten tobt der Kampf ums Überleben,
Leistungsdruck und Hektik führen zur Vereinsamung der Menschen. Am Rand
aber eitern die Slums, stehen die Baracken des Elends. Stadtluft macht
nicht mehr frei. Stadtluft macht klassenübergreifend krank.
BZ: Und die positive Alternative ist das Leben in der "Provinz"?
Kern: Ich werde auch auf die Seiten eingehen, die den Begriff der
"Provinz" negativ besetzt erscheinen lassen. Die Enge, das
Hinterwäldlertum die soziale Kontrolle durch Kleinkrämerseelen und das
Leichentuch der Langeweile, das sich über das Leben legt.
BZ: Und dann singen Sie das Loblied der Provinz?
Kern: Natürlich ist diese Schmährede eine Provokation. Oskar Maria Graf
hat gesagt "Provinziell muss die Welt werden, dann wird sie menschlich".
Nehmen Sie das Beispiel der "sozialen Kontrolle". In meiner Nachbarschaft
ist ein älterer Mann in seiner Wohnung verunglückt. Durch die
Aufmerksamkeit der Nachbarn konnte sehr schnell geholfen und der Mann in
das Krankenhaus gebracht werden. In der Provinz kennt man einander, nimmt
sich wahr und lebt in Gemeinschaft. Diese gelebte Menschlichkeit stelle
ich einem wurzellosen Kosmopolitismus entgegen. Hier beginnt das, was ich
im Untertitel ausgedrückt habe: das Nachdenken über ein gelingendes Leben.
BZ: Aber auch die Menschen in der Provinz müssen sich ihren
Lebensunterhalt verdienen, stehen im globalen Wettbewerb und sind
zumindest ähnlichen Zwängen unterworfen, wie Menschen in den Städten.
Kern: Das ist richtig. Die ökonomische Globalisierung prägt unser Leben.
Die globalisierte Welt ist hochgradig komplex, kaum noch durchschaubar und
schwer zu verstehen. Aber das globale Dorf ist nicht unsere Heimat. Wir
suchen im überschaubaren, begreifbaren Bereich den Kontakt zu lebenden
Menschen, mit denen wir uns vernetzen und an einer besseren Lebensumwelt
schaffen wollen. Ich will mit den Zuhörern am Sonntag gerne über die
konkreten Möglichkeiten sprechen, die uns in unserem Umfeld gegeben sind,
gemeinsam an einem gelingenden Leben zu arbeiten.
BZ: Dann liegt eine Priorität bei den Menschen in der Provinz?
Kern: Das Wesentliche ist das Menschenbild, das wir von uns und dem
Gegenüber haben. Wir erleben heute, dass sich Menschen in Großstädten ihre
eigene "Provinz" erschaffen, Enklaven, in denen die Gemeinschaft mehr gilt
als der blinde Leistungswettbewerb der einsamen Wölfe. Provinz als
positive Alternative zum Stadtmoloch ist kein geographischer Ort, sondern
ein von uns geschaffener Ort der Gemeinschaft und der Begegnung. Darüber
und darüber, wie wir darin den Raum für ein gelingendes Leben bauen
können, würde ich gerne mit den Zuhörern am Sonntag sprechen.
ZUR PERSON: PETER
KERN
wurde 1940 in
Liegnitz/Schlesien geboren. Nach dem Studium der Pädagogik in Hannover
promovierte er dort 1972. Ab 1973 war Kern als Professor für
Erziehungswissenschaft in Lörrach und danach in Freiburg tätig. Er
emeritierte 2005. Kern lebt in Gündenhausen bei Schopfheim.
Bericht: BZ/Heiner Fabry
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