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Die Chronik der sonntäglichen "Krone - Frühschoppen"

 

 

 

"Faszinierend, wie er die Kurve kriegt"

BZ-INTERVIEW mit dem Journalisten Heiner Fabry über den
in Weitenau geborenen Anarchisten Robert Reitzel.

 

Der Journalist Heiner Fabry ist fasziniert von dem aus Weitenau stammenden Anarchisten, Schriftsteller und Journalisten Robert Reitzel. Der gebürtige Weitenauer zählte im 19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Kapitalismuskritikern und ist heute praktisch vergessen. Foto: Robert Bergmann

Dem aus Weitenau stammenden Anarchisten, Prediger und Zeitungsgründer Robert Reitzel hat der Freie Journalist Heiner Fabry am Sonntag beim Frühschoppen im Tegernauer Wirtshausmuseum "Krone" einen Vortrag gewidmet.

BZ-Redakteur Robert Bergmann hat mit Fabry gesprochen, wie er auf Reitzel – den armen Teufel aus Weitenau – gestoßen ist.

BZ: Weder in seinem Geburtsort Weitenau, noch in seiner zweiten Heimat, den USA, kennt heute noch jemand den Namen Robert Reitzel. Wie sind Sie denn auf ihn gestoßen?

Fabry: Das war reiner Zufall. Im letzten Herbst diskutierte Weitenaus Ortschaftsrat über das neue Baugebiet "Im Sängelen". Dort gibt es zwei Straßen, die beide Im Sängelen heißen, eine von ihnen sollte umbenannt werden. Einer der Ortschaftsräte, Rainer Dürr, schlug vor, doch eine der Straßen nach Robert Reitzel, dem großen Sohn Weitenaus und bedeutenden Anarchisten zu benennen. Da habe ich die Ohren gespitzt und mich kundig gemacht.

BZ: Und wie ging es dann weiter?

Fabry: Ich war erst einmal sehr verwundert darüber, dass Südbaden einen Anarchisten hervorgebracht haben soll. Davon hatte ich bis dato noch nie etwas gehört. Ich habe herumgefragt und festgestellt, dass niemand etwas von diesem Mann wusste. Da fand ich es mit einem Mal ziemlich spannend, etwas mehr über den Herrn in Erfahrung zu bringen.

BZ: Wie kamen Sie dann an Infos? Der Mann ist seit mehr als 100 Jahren tot.

Fabry: Also an Literatur gab und gibt es über Reitzel, der ja viele Jahrzehnte in den USA lebte und dort 1898 gestorben ist, nicht viel. An neueren Büchern in deutscher Sprache gibt es gerade mal zwei Publikationen. Beide beschäftigen sich vor allem mit der ideengeschichtlichen Wirkung Reitzels, eines davon ist eine Aufsatzsammlung, versehen mit einem Nachwort. In den Bibliotheken findet sich außerdem noch die ein oder andere Schrift von Zeitgenossen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Interessant ist die 2004 erschienene Schrift eines amerikanischen Literaturwissenschaftlers, der Zugriff auf Quellen in den USA hatte, und einiges von dem zurechtrücken konnte, was an biographischen Fakten über Robert Reitzel bis dato im Umlauf war.

BZ: Was wissen Sie denn jetzt über den Menschen Robert Reitzel? Hat er in Weitenau überhaupt Spuren hinterlassen?

Fabry: Nein, es gibt von Robert Reitzel nur sehr wenige Spuren in seinem Geburtsort. Als er 14 Jahre alt war, wurde sein Vater Reinhard – er war Schulmeister in Weitenau – nach Mannheim und später nach Karlsruhe versetzt, da ist sein Wirken in Weitenau zwangsläufig begrenzt. Jedoch hat die Familie mütterlicherseits starken Einfluss auf die demokratisch-revolutionäre 1848er Bewegung gehabt. Robert Reitzels Mutter Katharina ist die Schwester des Schopfheimer Demokraten Georg Ühlin. Reitzels Vater lebte übrigens nach seiner Pensionierung als hochdekorierter Schulmann noch viele Jahre in Schopfheim. Da war der in den Augen des Vaters gescheiterte Sohn längst in den Vereinigten Staaten.

BZ: Und dort machte der Schulabbrecher Robert Reitzel dann ja nach einigen Anläufen eine ziemlich steile Karriere.

Fabry: Vom Tellerwäscher zum Millionär hat es zwar nicht ganz gereicht, aber immerhin: Nachdem sich Robert Reitzel nach seiner Ankunft zunächst mit zahlreichen Gelegenheitsjobs, zum Beispiel als Schwellenleger bei der Eisenbahn, über Wasser gehalten hat, wurde er schließlich Pfarrer bei einer deutschen Kirche und brachte schließlich in Detroit seine eigene Zeitschrift "Der arme Teufel" heraus. Die hatte zuletzt immerhin 7000 Abonnenten. Reitzel gilt übrigens unter Eingeweihten heute noch immer als einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller in seiner Wahlheimat.

BZ: Sie wirken sehr fasziniert von Robert Reitzel Liegt das an ihrem eigenen, ebenfalls nicht schnurgeraden Lebensweg?

Fabry: In gewisser Weise schon, ich sehe da tatsächlich gewisse Identifikationsmöglichkeiten und den tieferen Grund für mein Interesse. Die Bücher, die ich bisher gelesen habe, legen den Fokus darauf, wie Reitzel, als Arbeiterführer, als Literat oder als Anarchist gewirkt hat. Was zu kurz kommt, ist das spannende Leben dieses Schulabbrechers aus Südbaden. Mich fasziniert, wie Robert Reitzel die Kurve gekriegt hat von einer verkrachten Existenz hin zu einem ganz eigenen, selbstbestimmten Leben.

BZ: Vergangenen Sonntag nun haben Sie ihre gesammelten Erkenntnisse beim Frühschoppen in der Krone einem breiteren Publikum präsentiert. Wie war es denn?

Fabry: Ich war sehr erstaunt über das ausgesprochen gute Echo. In Tegernau habe ich eine ziemlich große Abordnung aus Weitenau begrüßen dürfen. Doch auch den Krone-Stammgästen hat die wahre Geschichte vom "Armen Teufel" Robert Reitzel, so glaube ich, ziemlich gut gefallen. Ich habe den Vortrag auch mit einigen netten Anekdoten angereichert, wie etwa der von Georg Ühlin, der sich bei seiner Flucht vor den badischen Truppen angeblich in einem Schrank im Weitenauer Schulhaus versteckt hielt, justament als gerade der kleine Robert Reitzel geboren wurde. Das hat natürlich für heitere Nachfragen gerade bei denen gesorgt, die sich für die Badische Revolution interessieren.

BZ: Und stimmt die Geschichte?

Fabry: Ich sag es mal so: Einzige Quelle für diese Geschichte ist Reitzel selbst, insofern können wir sie glauben oder nicht, man darf Zweifel haben. Er war wirklich ein begnadeter Redner und Erzähler.

BZ: Wie könnte man diesen Menschen dauerhaft aus der Vergessenheit holen?

Fabry: Ich fände es schön, wenn neben Johann-Peter Hebel eines Tages auch Robert Reitzel, als ähnlich begnadeter Schriftsteller aus der Region seinen Platz im Unterricht finden würde. Wenigstens aber sollte man tatsächlich mal eine Straße oder einen Platz nach ihm benennen.

 

Robert Reitzel

(*27.1.1849 in Weitenau, gest. 31. 3 1898 in Detroit) war Schriftsteller, Journalist und seit 1884 in den USA Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift "Der Arme Teufel". Neben der Religions- und Bildungskritik beschäftigte den rhetorisch begabten Lehrersohn Reitzel in seinen zahlreichen Schriften, Büchern und Vorträgen, vor allem die Suche nach einem sozialistischen oder anarchistischen Weg zur Überwindung des kapitalistischen Elends.  

 

Bericht: BZ/Robert Bergmann

 

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